Sitzung: 18.07.2001 Ausschuss für Umweltschutz
Beschluss: noch nicht festgelegt
Abstimmung: JA-Stimmen:0 NEIN-Stimmen:0 Enthaltungen:0
Vorlage: M01/0367
Deutschland
zählt im internationalen Vergleich zu denjenigen Staaten mit der höchsten
Dichte an Kraftfahrzeugen bezogen auf die Bevölkerung. Die PKW-Dichte
übertrifft hier diejenige in nahezu allen anderen Staaten dieser Welt. Nur
Italien und Luxemburg verzeichnen dabei noch höhere Werte! [1]. Daraus
resultiert eine hohe und ständig weiter steigende Verkehrsleistung, die im Jahr
1998 bei 939,5 Mrd. Personenkilometer lag [2]. Auch im Vergleich zu diesem
ohnehin bereits hohen Stand nimmt Norderstedt einen Spitzenplatz ein:
§
Am 1.1.2001 waren in Norderstedt 54.921
Kraftfahrzeuge gemeldet [3]. Im vergangenen Jahr ist der KFZ-Bestand demnach
mit 5,99% im Vergleich zum Vorjahresbestand erneut deutlich angewachsen. Der
bundesweite Zuwachs im gleichen Zeitraum betrug demgegenüber nur 0,23% [4,
eigene Berechnungen]. Seit 1986 hat die Norderstedter Bevölkerung um 7,5%
zugenommen [5], die Zahl aller in Norderstedt zugelassenen KFZ hingegen um
52,93% [6].
§
Bei 72.680 in Norderstedt lebenden Personen (Stand: 1.1.2001) [5] ist eine Dichte
von 755 KFZ pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern (EW) erreicht, einer der
höchsten Werte in Deutschland und weltweit.
Durch folgende Vergleiche lassen sich
diese Zahlen besser einordnen:
§
Der bundesweite Durchschnitt lag Ende 1999 bei
617 KFZ / 1.000 EW [7]. Norderstedt übertrifft den Bundesdurchschnitt beim
Fahrzeugbestand also um mehr als 22%.
§
Weltweit ergibt sich bei ca. 670 Mio. KFZ und
einer Weltbevölkerung von 6,048 Mrd. Menschen ein Verhältnis von etwa 110 KFZ /
1.000 EW [8, eigene Berechnungen]. Norderstedt liegt damit bei der KFZ-Dichte
um 686 % über dem weltweiten Durchschnitt.
Die Umweltauswirkungen des Verkehrs haben in verschiedenen Bereichen
längst beachtliche Dimensionen erreicht. Die folgenden Beispiele weisen
schlaglichtartig auf einige der bekannten Probleme hin:
§
Für
mehrere Luftschadstoffe ist der Verkehr in Deutschland zur bedeutsamsten Quelle
geworden. So werden Luftverunreinigungen durch Kohlenmonoxid (CO) zu 54,9%,
durch Stickoxide (NOx) sogar zu 60,2% vom Verkehr verursacht [2].
§
Der
Verkehrssektor trägt in Deutschland inzwischen mit 20,4% (1997) zu den Emissionen
des Treibhausgases CO2 bei. Gegenüber seinem 13,7%igen Anteil im
Jahr 1975 ist das sowohl ein erheblicher absoluter Zuwachs als auch die mit
Abstand größte relative Steigerung (um 48,9%) [2].
§
Beim
Treibhausgas Distickstoffoxid (N2O), dessen Treibhauseffekt 150-fach
stärker ist als der von CO2 [9], fällt der Anstieg von 1,3% im Jahr
1975 auf 9,3% im Jahr 1997 noch höher aus. Hier ist der Verkehrssektor der
einzige Bereich, in dem über diesen Zeitraum Zuwächse zu verzeichnen waren
[2].
§
Der
Anteil des Verkehrs am gesamten Endenergieverbrauch in Deutschland steigt kontinuierlich
weiter an: von 19,8% im Jahr 1975 auf 28,3% im Jahr 1998. Absolut gesehen hat
sich der Energieverbrauch im Verkehrssektor damit in diesen 23 Jahren beinahe
verdoppelt [2].
§
Im Jahr 2000 wurden in Deutschland 7.487
Menschen durch Straßenverkehrsunfälle getötet und 503.959 Menschen so schwer
verletzt, dass sie in die amtlichen Statistiken Eingang gefunden haben [10].
§
Durch
Straßenverkehrslärm werden erhebliche Teile der Bevölkerung gesundheitlich belastet.
Tagsüber waren 1997 etwa 15,6% der Bevölkerung in den alten Bundesländern
Mittelungspegeln von mindestens 65 dB(A) ausgesetzt, die als Schwelle für eine
Gesundheitsgefährdung eines “normalen Durchschnittsmenschen” gelten. Nachts
liegt diese Schwelle auf Grund des Ruhebedürfnisses von Menschen niedriger;
dann müssen sogar 30,9% mit Mittelungspegeln von 50dB(A) und mehr leben [11].
Abschätzungen gehen davon aus, dass in Folge der Belastungen durch Straßenverkehrslärm
jährlich etwa 3.000 Menschen in Deutschland sterben [12].
Etwa 70% der deutschen Bevölkerung fühlt
sich durch Straßenverkehrslärm belästigt. Damit ist der Straßenverkehr mit
deutlichem Abstand vor dem Flugverkehr (42%) die weitaus bedeutsamste Quelle
für Lärmbelästigungen in Deutschland [11].
Der Verkehr gilt als der bedeutendste
Krankheitsauslöser der technischen Umwelt überhaupt [13]. Die immer weiter
steigende Verkehrsleistung führt zu einer Verschärfung der Probleme. Zur
Begrenzung der gesundheitlichen Schädigungen forderten deshalb 1998 die beim
Forum “Gesundheit und Umwelt” der Bundesärztekammer versammelten Mediziner
Einschränkungen des Straßenverkehrs, eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens
und die Einführung niedriger Tempolimits [14].
Diese und weitere dem Verkehr zuzurechnenden
Probleme haben ihren Preis. Der Verkehr ruft erhebliche volkswirtschaftliche
Kosten hervor, die nicht durch entsprechende Einnahmen (Steuern,
Versicherungsprämien usw.) abgedeckt werden. Für den motorisierten Individualverkehr
(MIV) in Deutschland, der mit dem PKW-Verkehr im Wesentlichen gleichgesetzt
werden kann, benennt eine Studie [15] Zahlen für das Jahr 1998; demnach belaufen
sich diese Kosten für den MIV auf 212,523 Mrd. DM. Bereinigt um die Steuereinnahmen
aus dem PKW-Verkehr (1998: 39,454 Mrd. DM netto) hat der MIV die Allgemeinheit
in Deutschland demnach 173,069 Mrd. DM gekostet. Auf dieser Basis lässt sich
weiter rechnen:
§
Bei
82,029 Millionen Menschen, die in Deutschland lebten [4], errechnen sich für
den MIV bzw. PKW-Verkehr durchschnittliche Kosten von 5,78 DM pro Person und
Tag – und zwar vom Säugling bis zum Greis, unabhängig davon ob sie nun Auto fahren
oder nicht. Bei der Interpretation dieser Zahl ist zu beachten, dass 24,2% aller
Haushalte in Deutschland gar nicht über ein Auto verfügen [2]. Sie müssen
deshalb nur die Nachteile des PKW-Verkehrs ertragen, ohne von dessen Vorteilen
profitieren zu können.
§
Für
eine Stadt wie Norderstedt summieren sich die ungedeckten volkswirtschaftlichen
Kosten demnach auf einen Betrag von mehr als 400.000,-- DM täglich. Diese Zahl
ist vorsichtig kalkuliert, schon allein weil der KFZ-Bestand in Norderstedt
weit über dem (der Rechnung zu Grunde gelegten) Durchschnitt liegt.
Der
Verkehrssektor stellt mithin eines der großen Handlungsfelder dar, die
erhebliche ökologische und damit zugleich gesellschaftliche Probleme bereiten.
Sowohl das bereits erreichte hohe Bestandsniveau bei Kraftfahrzeugen als auch
das weiterhin ungebremste Wachstum tragen zum besonders vordringlichen
Handlungsbedarf bei.
In diesen Zusammenhang ist der Aufruf der EU-Kommission einzuordnen, am
22.9. eines jeden Jahres in allen europäischen Kommunen einen autofreien Tag
durchzuführen. “Ziel des autofreien Tages ist es, den Bürgerinnen und Bürgern
unter dem Stichwort “stadtverträgliche Mobilität” die Möglichkeit zu bieten,
umweltfreundliche Fortbewegungsmöglichkeiten auszuprobieren und Anregungen
zu vermitteln, wie sich Alltagswege auch ohne Auto bewältigen lassen.” [16]
Autofreie Tage zeichnen sich dadurch aus, dass sie Angebote darstellen.
Es gibt an diesem Tag kein Verbot des Autoverkehrs, sondern es bleibt weiterhin
allen Menschen freigestellt, ob sie ihr Auto nutzen wollen oder nicht. Am
autofreien Tag bleiben lediglich bestimmte Straßen bzw. Teile des
Stadtgebietes für eine begrenzte Zeit frei vom Autoverkehr. Die Städte können
dabei selbst bestimmen, wie groß dieser Bereich sein soll - und machen davon im
Interesse ihrer Bevölkerung zum Teil sehr intensiv Gebrauch (nach Angaben des
Klimabündnisses war 1/3 der gesamten Stadtfläche von Paris im letzten Jahr an
diesem Tag autofrei).
Zumindest an diesem einen Tag im Jahr soll die Bevölkerung – im
Kontrast zu den übrigen 364 Tagen im Jahr - erleben dürfen,
§
dass
Mobilität keineswegs nur mit Auto-Mobilität gleichzusetzen ist, zumal die
Hälfte aller mit dem Auto zurückgelegten Wege nach wie vor kürzer als 3 km ist
[16],
§
wie
angenehm städtisches Leben ohne den störenden und gesundheitsschädigenden
Straßenverkehrslärm sein kann,
§
wie
Straße als öffentlicher Raum auch anders – d.h. für viele Menschen: attraktiver
- genutzt werden kann.
Das Angebot eines solchen Tages ersetzt nicht die generelle
Notwendigkeit, die gegenwärtig vorhandenen Probleme des Verkehrssektors zu
entschärfen. Dazu wäre ein viel komplexeres Handeln erforderlich, das weit
über den Verkehrsbereich hinausgeht und - unter anderem - stadtplanerische
Aspekte, Ausprägungen unseres Wirtschaftssystems, steuerliche Fragen, aber auch
“weiche Faktoren” wie Statusdenken und Imagesymbole berücksichtigen muss. Ein
derart gestalteter autofreier Tag ist daher richtigerweise als ein Symboltag
einzuordnen, der dazu beitragen soll, für die notwendigen Veränderungen eine
gesellschaftliche Akzeptanz bei den Betroffenen zu erzeugen.
Die gesellschaftliche Akzeptanz für derart gestaltete autofreie Tage
ist hoch. In Italien und Frankreich, wo die Idee Ende der Neunziger Jahre
entstand, haben Meinungsumfragen eine Zustimmung von 85% ergeben [16], häufig
verbunden mit dem Wunsch, dieses Angebot nicht nur auf einen Tag im Jahr zu beschränken.
Auch in Norderstedt waren die Reaktionen auf den ersten autofreien Tag im
letzten Jahr überwiegend positiv.
Dabei steht die Beteiligung der Stadt am autofreien Tag am 22.9.
keineswegs anderen Initiativen entgegen, die Verkehrsbelastungen in Norderstedt
auf ein verträgliches Ausmaß zu reduzieren. Das schließt ausdrücklich die
Möglichkeit ein, auch Aktionen wie die unter dem Motto “Mobil ohne Auto!” von
den Umweltverbänden angeregten autofreien Sonntage zu unterstützen.
Quellenangaben:
[1] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) – 2000
– Statistisches Jahrbuch 2000 für das Ausland. 399 S., Stuttgart.
[2] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (Hrsg.) – 1999 – Verkehr in Zahlen 1999. – 28. Jahrgang,
332 S., Hamburg.
[3] Fahrzeugbestandsstatistik
des Kraftfahrt-Bundesamtes.
[4] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) – 2000
– Statistisches Jahrbuch 2000 für die Bundesrepublik Deutschland. – 747 S.,
Stuttgart.
[5] Einwohnermeldeamt der Stadt Norderstedt.
[6] Eigene
Berechnungen auf Grundlage der Daten des STEP 2010 sowie des Einwohnermeldeamtes
der Stadt Norderstedt.
[7] Harenberg, B. (Hrsg.) – 2000 – Aktuell
2001. – 756 S., Dortmund.
[8] von Baratta, M. – 2000 – Der Fischer
Weltalmanach 2001. – 1407 S., Frankfurt am Main.
[9] Enquete-Kommission des 11. Deutschen
Bundestages “Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre” – 1989 - Schutz
der Erdatmosphäre. Eine internationale Herausforderung. – 2. Auflage, 618 S.,
Bonn.
[10] Statistisches Bundesamt, zitiert nach
Rundschreiben des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Nr. 8 vom 23.2.2001.
[11] Der Rat von Sachverständigen für
Umweltfragen – 1999 – Umwelt und Gesundheit. Risiken richtig
einschätzen. Sondergutachten. – 351 S..
[12] Anlage
7 zum Protokoll des Ausschusses für Umweltschutz vom 19.7.2000.
[13] Die Pathologie des Kfz-Verkehrs. – in:
Ökologische Briefe Nr. 17, vom 26.4.1995.
[14] Ärzte
für Wende in der Verkehrspolitik. – in: Segeberger Zeitung vom 25.11.1998.
[15] Stefan
Lieb – 2000 – Verkehrs”kosten”. VERKEHR KOMPAKT Nr. 4. – 28 S., Berlin.
[16] Klima-Bündnis (Hrsg.) - In die Stadt –
ohne mein Auto!” Europaweiter Autofreier Tag. Freitag, den 22.September 2000,
Samstag, den 22. September 2001. – Faltblatt, 6 S., Frankfurt.